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120minuten fand vor ein paar Tagen eine interessante Diskussionsrunde auf Twitter zum Thema "moderner" Fußball statt (#120modern). Wie auch in dieser Diskussion ersichtlich, landet man bei vielen Themen rund um den so genannten "modernen" Fußball sehr schnell bei der Frage, wie sich dieser auf die vorherrschende Fankultur auswirkt.
Um diesen Punkt umfassend zu erläutern, bedarf es erst einmal einer Definition. Was ist überhaupt "Fankultur"? Diese Frage ist schwerer zu beantworten, als es auf den ersten Blick scheint und würde man eine Gruppe Fußballfans, egal welchen Vereins befragen, würde man wohl viele unterschiedliche Antworten bekommen. In Wikipedia liest man unter dem Eintrag zu Fans:
"Die begeisterte Anhängerschaft äußert sich meist in Ritualen der Verehrung der betreffenden Person, Gruppe oder Sache. Für diese Verehrung, die die Fans betreiben, hat sich umgangssprachlich der Begriff Kult bzw. Fankultur eingebürgert. Er beruht häufig auch auf Mythen, die sich um den Gegenstand der Verehrung ranken."
Nun, dieser Absatz mag einen entscheidenden Faktor anschneiden, der viel zu der Identifizierung mit einer bestimmten Fankultur ausmacht. Die Mythen, die Erlebnisse, die eigenen Emotionen, die man mit seinem Fandasein verbindet. Im Fußball jedoch wird der Begriff nicht selten wesentlich weiter gefasst. So steht ein verteidigen der Fankultur nicht selten in Zusammenhang mit wirtschaftlichen oder gar gesellschaftlichen Grundsätzen.
Ein Beispiel dafür ist sicher das eine für möglichst jeden erschwingliche Preisgestaltung als elementarer Baustein der Fankultur gesehen wird. Dies ist auch nicht unlogisch, gilt doch Fußball in Deutschland als der Volkssport schlechthin. Auch wenn der Mythos vom kleinen Arbeiter, der seinen geringen Lohn in eine Dauerkarte investiert in heutigen Zeiten kaum haltbar ist und sicher auch nicht die vorherrschende Zusammensetzung von Fanblöcken oder gar Stadien im Profifußball widerspiegelt, symbolisiert dieser Faktor doch etwas vom Bild einer ideellen Welt gepaart mit einem Hauch von Nostalgie.
Ähnlich ergeht es dem gesellschaftlichen Teil. So sind Mitbestimmungsrechte fester Bestandteil der Diskussionen rund um die Fankultur. Obwohl die meisten Profivereine heutzutage über als Kapitalgesellschaften ausgelagerte Profimannschaften verfügen, deren Tagesgeschäft weit abseits jeglicher Mitgliederversammlungen läuft, ist allein der Glaube daran, im Notfall irgendwo eingreifen zu können oder eine wichtige Stimme zu haben ausreichend, um als wichtiger Bestandteil von Fankultur gesehen zu werden.
Man verstehe mich nicht falsch, an dem generellen System der Vereinsmitgliedschaft ist wenig auszusetzen, ich selbst habe darüber auch schon Blogs verfasst. Die Beharrlichkeit, mit der dieser Punkt jedoch verteidigt wird, erstaunt hinsichtlich der faktischen Möglichkeiten jedoch schon oft.
Kommen wir zurück zum "modernen" Fußball. Was Trainer eher mit einer Wandlung der Spielsysteme, veränderter Trainingsbedingungen und höheren organisatorischen Anforderungen gleichsetzen, ist für die meisten Fans eher der Veränderung des Fußballerlebnisses im und außerhalb des Stadions zuzuschreiben. Die Stadien werden größer und moderner, die Einnahmen im Fußball steigen rasant. Vereine und Verbände bewegen sich in internationalen Märkten und beschließen immer neue Regelungen, teils auch auf Kosten lieb gewonnener Verfahrensweisen. Mit dem Siegeszug des Fußballs und der Modernisierung der Strukturen zieht außerdem natürlich auch ein anderes Publikum in die Stadien ein.
Alles Punkte, die nicht selten als Angriff auf die gelebte und geliebte Fankultur verstanden werden. Auch ein Feindbild ist schnell gefunden, der Kommerz und sein Motor, das schnöde Geld. Argumentativ ist das nicht neu. Ob Wirtschaftsflaute, Börsensturz oder Finanzkrise, ständig scheint der Kommerz wie das berühmte „Damoklesschwert“ über uns zu schweben. Zumindest wenn man der Presse glauben schenkt.
Und eines ist klar, die höhere Kommerzialisierung besteht auch und wird sich sicher noch stark vergrößern. Es ist der Einzug der Globalisierung in den Fußballmarkt, dessen Auswirkungen man zweifelsfrei zu sehen bekommt. Doch ist die Globalisierung nicht schon längt da? Sieht man sich Unternehmen wie Bayern München, Real Madrid oder einige andere Top Vereine in Europa an, kann man das kaum verneinen. Schließlich sind dies mittlerweile global agierende Kapitalgesellschaften, die auf wirtschaftlicher Seite nichts von anderen weltweiten Unternehmen unterscheidet, außer das ihr "Grundprodukt" halt der Fußball ist. Und, das sei auch gesagt, bisher gräbt man dort erst noch die Spitze des Eisbergs an, da werden bei dem ein oder anderen noch ganz andere Gelder fließen, wenn man sich global gefestigt und positioniert hat.
Was bedeutet das Ganze nun für die Fans? Zuerst einmal ist Globalisierung kein Erfolgsgarant für alle, die hoch hinauswollen. Wie auch in anderen Branchen lässt sich aus Geld nicht direkt ein Erfolg ableiten und aus einer eher konservativen wirtschaftlichen Haltung, nicht automatisch ein Misserfolg. Ganz im Gegenteil, der Erfolg einiger Weniger in einem Markt, vergrößert diesen auch immer für die anderen. Um es einfach auszudrücken, sicherlich werden auch kleinere Vereine zukünftig Chancen erhalten wesentlich mehr Anteil am Kommerz zu haben.
Doch ist es nicht genau das, wo vor sich viele fürchten? Und werden die Fankurven und damit auch ihre Fankultur am Ende nicht untergehen, wenn übermächtige Vereine entstehen?
Ich tue mich mit einer solchen Argumentation eher schwer. Es kann im Fußball natürlich jederzeit passieren das Fanstrukturen sich ändern, Identifikationsmerkmale variieren oder auch die ganze Zusammenwirkung von Vereinen und Fans sich ändert. Evolutionäre Veränderungen gab es schon immer im Fußball und wird es auch immer geben. Würde man einen Fußballfan von vor 50 Jahren oder früher in unsere Zeit "beamen" und in ein beliebiges Stadion stecken, käme er sich wohl sehr fremd vor.
Somit lauert die einzige Gefahr in Veränderungen nur hinsichtlich erzwungener Maßnahmen. Sei es durch Vereine, Verbände oder gar öffentliche Stellen, die auch gern mal im Fußballgeschäft mitmischen wollen.
Dahin gehend ist Erfolg aber ein zweischneidiges Schwert. Eine höhere wirtschaftliche Präsenz sorgt immer auch für ein höheres Risiko des Scheiterns. Und bekommt man mehr Aufmerksamkeit für positive Erfolge, hat dies unweigerlich auch zur Folge das sich Negativereignisse wesentlich stärker in den Vordergrund drängen. Ein schlechtes Verhältnis zu Fans kann wesentlich gravierendere Auswirkungen haben, als dies der Fall ist, wenn man nur regional agiert. Sollten Vereine demnach wirklich versuchen an den Fans vorbei zu agieren, dürften sie damit sehr schlecht beraten sein.
Eine Gefahr sehe ich allerdings wirklich. Während Unternehmen in so ziemlich allen Märkten mit großen Gegenspielern auskommen müssen, seien es organisierten Kundengruppen, diverse Schutzorganisationen für unzählige in ihrer Branche tangierte Faktoren, Gruppierungen mit schlagkräftigen Lobbys oder auch nur Spezialisten, die jede rechtlich wacklige Aktion sofort auf den Prüfstand stellen, scheint mir der Fußball momentan noch das Paradies für jeden Teilnehmer.
Fans sind versprengt und nicht selten uneins, Fanverbände vielmals sehr eingeschränkt in ihren Reaktionsmöglichkeiten und so sind einige Auswüchse sicher nicht unerwartet. Nehmen wir das Beispiel aus Essen, wo die Sicherheitsbehörden kurz vor Toresschluss einfach mal eine Choreo verbieten. Ist ja nicht so wild, schließlich ist die Arbeit und das Geld, das in so einer Choreo steckt ja nur von Fans geleistet wurden. In ihrer Freizeit, also nichts Gravierendes, dürfte zumindest der allgemeine Tenor sein. Nun kann man zu der Choreo oder allgemein der Ablehnung stehen, wie man möchte. Aber mal ehrlich könnte man sich solch ein Vorgehen in der Wirtschaft, bei Großveranstaltungen und beteiligten Firmen vorstellen? Wahrscheinlich nicht. Eher hätten die Behörden am nächsten Tag eine Horde Anwälte vor der Tür, die sie notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof zerren. Kann bei Fans natürlich kaum passieren.
Oder nehmen wir als weiteres Beispiel das Schreiben über die Vereinheitlichung der Zulassung von Fanutensilien. Da erarbeitet eine Gruppe, an der diverse Fanverbände beteiligt sind, also ein Schreiben über die einheitliche Zulassung von Fanutensilien, was auch über den DFB an alle Vereine gesandt wird. Und nur kurze Zeit später tauchen schon die ersten Aussagen von Funktionären auf, das das alles ja nicht so wichtig ist und man lässt es sich nicht nehmen die Wichtigkeit des ganzen so weit zu torpedieren das es in der Wichtigkeitsskala noch weit unter der täglichen Spammail über Potenzmittel landet. Nun auch da werden jetzt viele sagen "man kann ja so etwas auch nicht verlangen". Muss man auch nicht. Aber auch da wieder ein kleines Gedankenexperiment. Man stelle sich einmal vor, es wäre keine Arbeitsgruppe über Fanbelange gewesen, sondern über Maßnahmen zur Gleichberechtigung in Fußballvereinen. Nun, man muss sicher kein Hellseher sein, um zu wissen, das jeder, der so etwas diskreditiert oder auch nur relativiert hätte, gut beraten wäre sich schon einmal im Jobportal der nächstgelegenen Arbeitsagentur nach alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten um zu sehen. Aber es sind ja "nur" Fanbelange.
Was ist nun das Fazit des Ganzen?
Wer den Kampf gegen den "modernen" Fußball im Allgemeinen führen will, muss wissen, dass er schon lange verloren hat. In dem Moment, als der erste Verein ein Unternehmen gründete, um damit am Fußball teilzunehmen, war dies schon entschieden, denn in diesem Moment unterwarf man sich allen wirtschaftlichen Prozessen, Richtlinien, Gesetzen und Möglichkeiten. Der Konflikt um den Erhalt von Teilen der Fankultur, die man persönlich schätzt, wird allerdings nicht an dieser Front geführt. Er wird auch nicht dadurch entschieden, ob nun irgendwelche Unternehmen Geld in den Fußball stecken und erst recht nicht daran ob diese Unternehmen nun groß oder klein sind.
Das Schicksal der Fankultur wie sie viele erhalten wollen wird sich daran entscheiden, ob die Fans den "modernen" Fußball annehmen und ob sie die Möglichkeiten die sich automatisch aus der höheren Kommerzialisierung und Globalisierung ergeben nutzen um für ihre Rechte einzutreten. Oder ob es ihnen reicht zu sagen "das lehne ich ab" und sich damit jeglichen Entscheidungen zu unterwerfen die andere für Sie treffen.